ESG-Investments, Ratings und Greenwashing | Episode 01
Shownotes
Nachhaltigkeit ist eines der Megathemen unserer Zeit, und Green Finance dominiert die finanzwirtschaftliche Debatte. Aber was ist nachhaltig? Und wie agieren Finanzwirtschaft, Investoren, Regulatoren und die Politik? In der ersten Episode von „Nachhaltiges Investieren“ erläutert Jochen Thiel, Country Head of Germany and Austria bei Morningstar, im Gespräch mit Christiane Lang, was Ratings zu leisten vermögen, ob sie Greenwashing verhindern können und inwieweit eine Standardisierung der ESG-Bewertungen möglich, beziehungsweise ob sie überhaupt sinnvoll ist.
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#00: 00:08-3# Nachhaltiges Investieren der Podcast für die Investmentfondsbranche – mit freundlicher Unterstützung von Union Investment
#00: 00:17-2# Hallo und herzlich willkommen Liebe Hörerinnen und Hörer zu unserem neuen Podcast „Nachhaltiges Investieren“. Nachhaltigkeit im Sinne von ESG, also ökologisch, sozial und gute Unternehmensführung, ist eines der Megathemen unserer Zeit. Und Green Finance - dabei geht es darum, möglichst alle Finanzströme in Investitionen zu lenken, die die umweltschonend und den Klimawandel beziehungsweise dessen Folgen bekämpfen - dominiert die finanzwirtschaftliche Debatte. Aber was ist nachhaltig? Wie agieren die Finanzwirtschaft, die Investoren, die Regulatoren und die Politik? Wir wollen das Thema von möglichst vielen Seiten beleuchten und laden dazu immer einen prominenten Gesprächspartner ein. Mein Name ist übrigens Christiane lang. Ich bin Redakteurin bei der Börsen-Zeitung, und ich begrüße heute Jochen Thiel, Deutschland-Chef der Ratingagentur Morningstar, zum Thema Ratings und Greenwashing als unseren ersten Gast. Hallo Herr Thiel, ich freue mich sehr, dass sie heute mit dabei sind.
#00: 01:11-5# Guten Morgen, Frau lang auch. Ich freue mich sehr, mit ihnen, diesen Podcast hier gestalten zu können und freue mich auf ein interessantes Gespräch,
#00: 01:18-0# Herr Thiel. In Deutschland werden mehr als 2000 Fondsprodukte als nachhaltig deklariert, und es werden immer mehr. Und da stellt sich natürlich die Frage, wie behalten Anleger den Durchblick? Wie helfen Ratings? Wie kann man Greenwashing erkennen beziehungsweise verhindern? Aber vielleicht fangen wir einfach mal vorneweg mit der Frage an - Morningstar analysiert ja auch den Markt - wie entwickeln sich die Assetströme in nachhaltige Anlagen?
#00: 01:40-5# Also. Hier kann man insgesamt sagen, dass sich über die letzten zwei Jahre ein hohes Wachstum abgezeichnet hat in den Anlagen, in ESG-Fonds, die wir spezielle anschauen. Zum Beispiel haben wir im 2ten Quartal 2021 gesehen, dass die Anlagen in ESG-Fonds gestiegen sind, auf über 2,25 Billionen US-Dollar weltweit. Das entspricht einem Zuwachs von zwölf Prozent im Vergleich zum ersten Quartal. Interessant dabei ist allerdings zu beobachten, dass 82 Prozent dieser Anlagen in Europa liegen. also hier ist ganz klar ein Wachstumstreiber, der von Europa ausgeht. Wenn wir uns das im Quartal anschauen, haben wir zum Beispiel im ersten Quartal Nettomittelzuflüsse von 184 Milliarden US-Dollar gehabt. Das Ganze hat sich etwas abgeschwächt im 2ten Quartal auf 140 Milliarden US Dollar. Das liegt allerdings auch daran, dass wir im Gesamtmarkt insgesamt geringere Zuflüsse verzeichnet haben, aber vielleicht noch final, um das ein bisschen in den Kontext zu rücken. Im Vergleich wurden im ersten Quartal rund 757 Milliarden US Dollar Mittelzuflüsse global insgesamt gesehen. Das heißt die Zuflüsse in den ESG-Fonds haben global rund 25 Prozent aller Zuflüsse ausgemacht. Auch hier lohnt sich noch einmal der Blick nach Europa. Da liegt dieser Prozentsatz natürlich erheblich höher und hat in den vergangenen Quartalen beständig zugenommen. Wie haben in manchen Quartalen teilweise fast 50 Prozent von Nettomittelzuflüssen in ESG-Fonds in Europa gesehen.
#00: 03:14-9# Und damit können wir ja quasi in Medias Rgehen, Herr Thiel, wenn man sich diese massive Bewegung hin zu diesen nachhaltigen Produkten anschaut, aber zugleich der Markt eben noch weitgehend unreguliert ist, das steigt natürlich die Gefahr des Greenwashing. Das heißt also die Gefahr, dass Fonds als nachhaltig verkauft werden und sie es möglicherweise gar nicht sind. Da brauchen die Anleger natürlich Guidance. Wobei diese Selbstdeklaration der Fondsanbieter, die ihnen ja jetzt möglich ist, durch die Offenlegungsverordnung. Die können ihre Produkte nach Artikel acht oder neun selbst klassifizieren. Die kann es ja nicht sein. Das heißt, man braucht ja externe Einschätzungen, Labels. Aber was können Ratings eigentlich leisten angesichts einer noch rudimentären Taxonomie und eben noch fehlender Standards?
#00: 03:57-9# Die von Ihnen angesprochene Taxonomie genauso wie einfache Ratings oder sehr einfach gehaltene Labels sind meines Erachtens zu schwarz-weiß und können eigentlich nur eine erste Orientierung für Investoren dienen. Was gefragt ist von Investoren zunehmend, ist Unabhängigkeit, Transparenz und auch die Möglichkeit, in die Tiefe zu schauen, die Daten und Anlagestrategien, die Unternehmensführung im Detail analysieren zu können. Investoren, und das ist, denke ich, ganz unterschiedlich im Vergleich zu vor vielen Jahren noch, folgen nicht mehr einer reinen Impact Sicht, was erreiche ich mit meinem Investment, sondern, was nachgefragt wird, ist würde ich sagen, eine differenzierte Analyse. Und dieser Analyse beinhaltet eben nicht nur den Impact, sondern auch die damit verbundenen Risiken, und wie geht ein Unternehmen mit diesen Risiken um? Und das ist zum Beispiel bei einem Unternehmen Shell sicherlich eine ganz andere Herausforderung wie bei einem Technologieunternehmen wie Microsoft zum Beispiel, weil hier vielmehr Transformation gefragt ist und das ESG-Risikomanagement viel, viel komplexer ist für eine solche Firma wie Shell oder generell Firmen, die heute im Energiesektor tätig sind.
#00: 05:08-7# Wie geht zum Beispiel Morningstar mit diesen veränderten Anforderungen um, also hinsichtlich der Methodiken?
#00: 05:14-1# Was wir bei Morningstar in den vergangenen Jahren gemacht haben und auch bei Sustainalytics ist, dass wir dahingehend die Methodik verändert haben. Wir sind ein Stück weitergegangen, weg von der ursprünglichen, reinen Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in einem Unternehmen und der Impact, den ein Unternehmen auf Nachhaltigkeit hat, und sind ein Stück weit auf die Investoren zugegangen und haben uns viel stärker angeschaut, wie die Unternehmen mit den materiellen Risiken im Zusammenhang mit nachhaltiger Unternehmensführung umgehen. Und in der Folge natürlich auch, wie gehen Investmenthäuser, Asset Manager mit nachhaltiger Investmentstrategie um. Und ich denke, mit dieser Änderung und Weiterentwicklung der Methodik haben wir eine ganz andere Grundlage für eine Standardisierung in dem Bereich gelegt. Und das insbesondere auf einer globalen Ebene. Denn wir reden hier nicht mehr nur von lokalen Märkten und das, was wir momentan sehen, und auch innerhalb der EU, sind im Wesentlichen lokale Maßnahmen. Aber Investoren, und selbst wenn ich mir Retailinvestoren in Deutschland anschaue, investieren mittlerweile global. Es gibt viele Privatanleger in Deutschland, die in US-amerikanische, in asiatische Werte investieren. Und für die ist es immens wichtig, dass alle mit einer einheitlichen Methodik gescreent, analysiert werden und wir damit den Anlegern die Guidance geben, die sie benötigen und eben nicht nur mit Hilfe von lokalen Regularien.
#00: 06:44-0# Ja, zu Regularien kommen wir vielleicht auch noch. Jetzt haben sie ja beschrieben, wie tief Sie gehen inzwischen, um eben diese Nachhaltigkeit bewerten zu können. Jetzt ist es aber so, dass Morningstar natürlich nicht das einzige Haus ist, das Nachhaltigkeitsratings anbietet. Und selbst innerhalb Ihres Hauses werden ja unterschiedliche ESG-Bewertungsinstrumente angeboten. Also wenn man jetzt an die Globes denkt oder diesen Commitment Level oder ESG Risk Assessment. Es kommt ja alles aus Ihrem Haus, trägt dann der Rating-Markt überhaupt zur Orientierung bei? Also eben noch einmal die Frage wer nicht eine Art übergeordnetes EU-Ecolabel, zum Beispiel eine Art TÜV für Fonds sinnvoller?
#00: 07:22-9# Also ich denke, wie ich vorhin schon gesagt habe, reine Labels, und dazu würde ich auch solche EU-Ecolabel. Und wir sehen ja auch heute bereits verschiedene Labels im Markt. Die greifen meines Erachtens zu kurz, weil es eben eine sehr konsolidierte Sicht auf einen sehr komplexen Sachverhalt ist. Das, was Sie hier angesprochen haben, Sie haben das genannt, bei Morningstar gibt es verschiedene oder unterschiedliche ESG Assessment Instrumente. Ja, sie sind unterschiedlich, aber sie greifen sehr eng aufeinander zu. Sie sind sehr eng miteinander vernetzt, und wir steigen ja im Grunde in diese Betrachtung von Investitionen beziehungsweise Betrachtung von Unternehmen mit unserem Globus Rating ein. Das andere, was Sie angesprochen haben, der Commitment Level, das ESG Risk Score, Contoversies - das ist ja für mich schon eine Ebene tiefer. Das heißt, ich bin dann über die Globe-Ratings eingestiegen, habe mir gesagt, ich möchte nur Fonds haben, die ohnehin mindestens ein vier oder fünf Globe-Rating haben. Und dann gehe ich auf die nächste Ebene. Denn das, was Investoren letztendlich machen und machen sollten, ist, ihre eigenen Erwartungen, ihre eigenen Überzeugungen in Einklang zu bringen mit der Methodik, mit den Tools, die zur Verfügung stehen. Denn ein Investmentmanager gehört definitiv nicht auf mit seiner Arbeit, wenn er ein Rating hat, sondern auch er geht in die Tiefe und schaut sich genau an: Passt denn die Methodik zu dem, wie ich meine Assets hier manage. Und dementsprechend geben wir dem Investor alle Tools, die wir haben, in Form von Analysen an die Hand. Aber wir geben ihm zum Beispiel auch die volle Transparenz unserer Daten.
#00: 09:03-1# Klar also der Investor muss natürlich in die Tiefe gehen. Letztlich ist nur die Frage, wie übersichtlich ist das Ganze dann, wenn man sich mal anschaut. Die Unterschiedlichkeit der unterschiedlichen ESG Ratings von unterschiedlichen Anbietern ist enorm. Also meiner Ansicht nach wird das auch sehr gut illustriert durch eine Erhebung der MIT Sloan Business-School. Nach der korrelieren ist die Ratings verschiedener Agenturen im Schnitt nur zu 61 Prozent. Das heißt, die Nachhaltigkeitsratings verschiedener Anbieter zu einem einzigen Unternehmen können sehr unterschiedlich ausfallen. Ganz anders sieht das ja zum Beispiel bei Kreditratings aus, zum Beispiel von S&P und Moody's. Hier beträgt die Korrelation 99 Prozent, das heißt hinsichtlich der Kreditwürdigkeit eines Unternehmens sind sich die Agenturen sehr einig. Also was hilft es den Investoren bei dieser wahnsinnigen Bandbreite von ESG Ratings?
#00: 09:51-9# Das knüpft an das, was ich vorhin gesagt habe, das, was wir heute beobachten, und wir haben halt einige wenige globale Anbieter, zu denen gehörten Morningstar sicherlich, hier kann man auch die Kollegen von MSCI mit hinzurechnen, die versuchen derzeit globale Standards zu etablieren. Natürlich zunächst einmal ausgehend von unterschiedlichen Datenhaushalten, unterschiedlichen Methodiken, weil die Methodik auch andere Zielsetzung hat. Das hatte ich vorhin schon mal ausgeführt, das offensichtlichste Beispiel ist eine Methodik, die er geht hin zu Impact ESG im Vergleich zu dem, was wir im vergangenen Jahr gemacht haben, dass wir unsere Methodik mehr hin zu einer Evaluierung des Managements materieller ESG Risiken entwickelt haben. Sie sprachen den Unterschied zu den Kreditratings an. Ich denke, den Weg, den Kreditratings in den letzten 20 oder 30 Jahren hinter sich gebracht haben. Das ist ein Weg für ESG, an dessen Anfang wir uns gerade erst befinden. Kreditratings basieren im Wesentlichen auf der Analyse von Geschäftszahlen, von Bilanzen. Und hier haben wir natürlich in den unterschiedlichen Ländern, und da teilweise auch schon mittlerweile globale Standards zur Rechnungslegung, zu Bilanzierungsregelungen wie IFRS oder im deutschen Recht HGB, die mittlerweile sehr klar definierte
#00: 11:11-1# Standards haben. Und auf Basis dieser Standards kann ich natürlich auch eine Standard Methodik aufsetzen. Und selbst diese Methodik ist mittlerweile stark reguliert. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 haben wir noch mal einen Schub an Regulierung gesehen von Kredit-Rating Agenturen. Und das führt natürlich dazu, dass allein von der regulatorischen Sicht her, hier ein sehr enges Korsett geschnürt wurde, wie Kreditratings erstellt werden. Von einem solchen Korsett sind wir derzeit sehr, sehr weit entfernt. Und ich glaube auch nicht, dass es ein kurzer Weg hin ist. Denn auch vielleicht noch einmal anknüpfend auf Ihre vorhergehende Frage hin zu einem EU-Ecolabel, ist das der richtige Weg? Ich glaube nicht, obwohl wir momentan vielleicht eine unterschiedliche Vorgehensweise im Markt der Ratings sehen. Glaube ich trotzdem nicht das EU-Ecolabels der richtige Weg sind, weil was ist die Entwicklung an der Stelle? Wir brauchen eine sehr, sehr lange Zeit, diese zu entwickeln, insbesondere, wenn wir von einem globalen Standard sprechen. Zum anderen hat das Ganze eine Tendenz, dass man solche Initiativen eher auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners definiert. Und wir haben weder die Zeit noch ist der kleinste gemeinsame Nenner das, was mir momentan benötigen, insbesondere von der Klimakrise sprechen.
#00: 12:32-7# Aber nochmal zur vergleichsweise geringe Korrelation der EFG Ratings wird die sich ihrer Ansicht nach vielleicht irgendwann doch mal erhöhen.
#00: 12:40-4# Ich weiß nicht, ob wir langfristig dorthin kommen werden. Ich glaube, wir werden eine Annäherung sehen. Aber den Unterschied zu den Kreditratings sehe ich ganz klar darin, was ich vorhin schon angesprochen habe. Wir haben auch bei Investoren unterschiedliche Zielsetzung, unterschiedliche Erwartungshaltung in Bezug auf nachhaltige Investments. Und das ist das, was Morningstar wie auch andere Ratingagenturen versuchen, Rechnung zu tragen mit ihren Methodiken. Und ich glaube, der Reiz liegt gerade in der Vielfalt, weil es einfach unterschiedliche Blickwinkel gibt. Und weil wir dadurch eben nicht eine allgemeine Methodik des kleinsten gemeinsamen Nenners bekommen, sondern dass wir einfach ganz unterschiedliche Sichtweisen bekommen. Und ich glaube, wie auch in einer Demokratie, wie in der Politik, die Stärke liegt im Kompromiss, und die Stärke liegt darin, unterschiedliche Sichtweisen zu analysieren und dann für sich selbst als Anlagemanager den richtigen Weg zu finden.
#00: 13:35-2# Also es geht in Richtung Vielfalt, und das ist genau das, was die Investoren wollen, sagen Sie, also hin zu spezifischen Details und mehr Tiefe. Trotzdem gibt es Kritik an ESG-Ratings, abgesehen von möglicherweise mangelnder Vergleichbarkeit, nämlich, dass sie rückwärtsgewandt und zeitverzögert sind. Im Fintech-Bereich zum Beispiel gibt es Anbieter, die ESG-Sentiment-Analysen in echten Zeit auf Basis künstlicher Intelligenz entwickeln. Welche Weiterentwicklungen sind denn zum Beispiel bei Ihnen, also bei Morningstar, denkbar oder bereits eingeplant?
#00: 14:06-3# Ich denke, das ist auch eine Frage bezüglich der generellen Philosophie, wie ich an solche Analysen und Ratings herangehe. Sie hatten ja zuvor erwähnt, das SDFR-Regulierung nicht weit genug greift und daher unabhängige Expertenmeinungen und Einschätzungen notwendig sind. Hier stellt sich dann die Frage, ist eine rein technische Analyse hier ausreichend? Und natürlich ist der Einsatz moderner Technologien und auch von künstlicher Intelligenz allein in Anbetracht der extrem umfassenden Daten heute sowieso unabdingbar. Und wir nutzen das ganz genauso. Wir glauben aber, dass darüber hinaus Analysten sehr wertvolle Beiträge leisten können und die zur Verfügung stehenden Daten zusätzlich mit persönlichen Erfahrungen anreichern können. Und das, was Technologie meines Erachtens nicht leisten kann, ist, Einschätzungen zu geben, zu der Unternehmenskultur oder zu Trends in einem Unternehmen. Deswegen gibt es auch heute immer noch Hauptversammlungen. Es gibt quaterly Calls mit den Finanzchefs. Worum geht es dabei? Hier geht es auch darum, die Menschen kennenzulernen, zwischen den Zeilen zu lesen und ja, Daten, Datenanalysen, künstliche Intelligenz können sehr, sehr viel leisten mittlerweile. Aber, und das ist vielleicht eine ganz persönliche Erfahrung von mir, ich habe lange Jahre im Börsenumfeld gearbeitet, und Börse ist auch ein hochtechnologisches Umfeld und die Erfahrung, die ich aber dort trotzdem mitgenommen habe, ist, Märkte werden von Menschen gemacht, und die Psychologie spielt bei Handels- und auch bei Investitionsentscheidungen in der Finanzindustrie eine nach wie vor nicht zu unterschätzende Rolle. Denn man kann Entwicklung vorhersehen. Und es gab so viele Firmen auch in der Vergangenheit, die versucht haben, mit Prognosemodellen aus der Physik, aus der Statistik Aktienkursentwicklung vorher zu nehmen. Und am Ende kam es doch anders. Und deswegen bin ich nach wie vor überzeugt davon, dass bestimmte Komponenten innerhalb der Analyse, Komponenten zur Festlegung eines Ratings auch einfach einer menschlichen Interaktion bedürfen.
#00: 16:09-5# Herr Thiel, vielleicht können wir noch einmal den Bogen zurückschlagen zu Greenwashing. Also, Sie haben ja gesagt, die Informationen sind alle da, die Investoren müssen sich informieren und wollen sich auch informieren. Dennoch es gibt ja im Augenblick relativ viele Greenwashing-Vorwürfe nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen die DWS. Aber es werden ständig neu ESG-Fonds auf den Markt geworfen. Konventionelle Fonds werden umgewidmet in nachhaltig oder ihnen werden sozusagen in Anführungszeichen Grüne Brüder an die Seite gestellt. Kein Wunder, dass man da eine gewisse Skepsis hat. Aber kann man denn überhaupt von Greenwashing reden, wenn Klimaschutz sozusagen ein Moving Target ist und eben einheitliche Standards fehlen? Wo ist jetzt die Grenze zwischen Greenwashing und nicht Greenwashing?
#00: 16:50-6# Also auch hier denke ich, dass wir am Anfang einer Entwicklung stehen. Und ich würde ihn auch nicht zu 100 Prozent zustimmen, wenn sie von einem Moving-Target sprechen, sondern ich glaube, die Ziele sind relativ klar definiert das, was momentan fehlt, ist und vielleicht noch umso mehr im Bereich Soziales und Unternehmensführung, was ja die die beiden S und G Buchstaben in ESG bedeuten. Die Ziele selbst müssen konkretisiert werden, und sie müssen auch mit sinnvollen Daten und Analysen hinterlegt werden. Und zwar idealerweise auf einer Art und Weise, die für Investoren leicht und schnell nachvollziehbar ist und wenn ich von Investoren spreche, meine ich damit nicht nur die professionellen institutionellen Investoren, sondern das betrifft Sie und mich genauso und jedem Privatanleger. Denn sie sehen ja heute auch zum Beispiel den Trend auf Grund der Niedrigzins-Politik der vergangenen Jahre, das zum Beispiel im Lebensversicherungsbereich fast nur noch fondsgebundene Lebensversicherung angeboten werden und der Versicherungskunde sich im Grunde genommen damit auseinandersetzen muss, in welche Fonds seine Gelder investiert werden sollen, von denen er in 2030 Jahren seine Rente bestreiten soll.
#00: 18:05-5# Aber das ist der Punkt. Wie sollen die Retailaleger das beurteilen? Abgesehen davon, dass die meisten wohl kaum Lust haben werden, hier Zeit zu investieren.
#00: 18:14-2# Das, was wir bei Morningstar zunehmend unseren Kunden bieten, ist, dass wir eine Art Stiftung Warentest haben. Also heißt eine unabhängige Instanz, die nach sehr transparenten Maßstäben, nach sehr transparenten Methodiken arbeitetet und diese offenlegt. Denn jeder Privatanleger ist auch ein Konsument. Um das Beispiel aufzugreifen. Und wenn sie sich die Stiftung Warentest anschauen, die vergibt auch im Wesentlichen ein Rating. Nehmen wir zum Beispiel eine Waschmaschine, die bekommt eine Note von 1,7. Aber auch da hören Sie ja nicht auf, sondern Sie gehen eine Ebene tiefer und schauen sich an, wie ist denn die Energieeffizienz von der Waschmaschine. Wie ist der Service, wie ist die Waschleistung beurteilt worden und nichts Anderes machen wir im Grunde genommen, auch wenn wir einen Globe-Rating festlegen und unten drunter, dann auch Detailinformationen geben zu Kontroversen, unsere Einschätzung hin zu der Unternehmensführung, unserer Einschätzung im Bereich Soziales, wie wird mit den Arbeitnehmern umgegangen in einem Unternehmen und und, und. Das sind alles Informationen, die Sie auf der nächsten Ebene im Grunde schon analysieren können, ohne alle Daten und Detail verstehen zu müssen. Es ist im Grunde genommen, wenn Sie so wollen, wie eine Pyramide aufgebaut.
#00: 19:25-7# Da würde ich gern noch einmal einhaken. Also ich würde gern auf die Waschmaschinen zurückkommen. Institutionelle klar, die informieren sich ganz tief. Bei Privatanlegern ist es bisher so gewesen, für Finanzanlagen haben sie sich nicht besonders, oder hat sich der normale Deutsche nicht besonders interessiert. Für einen Kühlschrank oder das neue Auto, da geht er gerne ins Detail. Ich kann mir nicht vorstellen, oder ich kann mir nur schwer vorstellen, dass er bei Finanzanlagen die gleiche Akribie an den Tag legen wird.
#00: 19:51-3# Vielleicht noch einmal ein Appell an die Gesetzgeber und insbesondere an die Kultusminister. Ich glaube das, was wir in den letzten 20 / 30 Jahren nicht geschafft haben, das ist genau das Problem, was sie ansprechen, ist für eine ausreichende Bildung im Bereich Wirtschaft und Finanzen zu sorgen, bereits in der Schule. Meine Hoffnung ist, dass mit einer verstärkten Betrachtung von Nachhaltigkeit bei Investitionen wir das Thema emotional viel stärker aufladen. Wir sehen heute, dass sich die Jugend sehr stark mit diesem Thema auseinandersetzt. Wir sehen eine Friday for Future Bewegung, und in der Konsequenz müssen wir auch den jungen Menschen im Grunde schon darlegen, dass man so klein der beitragen und so klein ein Investment auch sein mag, hier sehr bewusst eine Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen kann. Und das ist ein sehr emotionales Thema. Und ich hoffe, wir kriegen diese Verknüpfung hin. Denn hier schließt sich der Kreis für das Gespräch so ein Stück weit. Die Entwicklung, die wir gesehen haben in Europa und insbesondere in Bezug auf die Veränderung der Kapitalflüsse, ist natürlich sehr stark getrieben von institutionellen Investoren. Hier ist diese Überzeugung, glaube ich schon, hat sich ganz klar durchgesetzt, dass Ökologie und Ökonomie, so wie man das früher bezeichnet hat, kein Widerspruch mehr sind. Ganz im Gegenteil. Ökologische und nachhaltiges Wirtschaften kann durchaus eine sehr, sehr gute Rendite bringen. Und wenn ich das kombinieren kann mit dem emotionalen Faktor Nachhaltigkeit, glaube ich, komme wir auch in der nächsten Generation dahin, dass man sich stärker mit dem Thema auseinandersetzt und auch sich stärker mit dem Thema Investitionen, Anlage, aber insbesondere auch mit Sparen für das Alter stärker auseinandersetzen wird.
#00: 21:38-6# Okay, das war ein gutes Schlusswort, Herr Thiel, ich bedanke mich sehr für das Interessante Gespräch und ja, vielleicht bis zum nächsten Mal.
#00: 21:45-3# Ich habe zu danken und würde mich sehr freuen auf eine Wiederholung in naher Zukunft.
#00: 21:58-5# Und wir kommen zu unserem Nachrichtenblock. Und dazu begrüße ich Detlef Fechtner, Chefredakteur der Börsen-Zeitung. Hallo Detlef. Hallo Christiane. Ja, wir bleiben erst einmal beim Thema. Wie findet sich der Anleger im Nachhaltigkeits-Dschungel zurecht? Weil das Angebot an nachhaltigen Fonds immer unübersichtlicher wird, bemühen sich immer mehr Investmenthäuser auch um ein qualitatives Nachhaltigkeitssiegel für ihre Fonds. Das Pariser Analysehaus Novethic hat dazu jetzt eine europaweite Studie gemacht. Was kam denn dabei heraus?
#00: 22:26-1# Ja, diese Studie zeigt, dass der Ökosiegel Markt tatsächlich rasant wächst. Novethic hat festgestellt, dass sich insbesondere im ersten Halbjahr 2021 das Volumen der so ausgezeichneten Investmentfonds um 45 Prozent vergrößert hat und die Fonds mit offiziellen Siegeln die Schwelle von einer Billion Euro beim verwalteten Vermögen überschritten haben. Also insgesamt hatten sich zum Stichtag dreißigster Juno mehr als 1600 Fonds in Europa einem oder mehreren qualitativen ESG-Ratings unterzogen. Und das ist ein riesiger Sprung. Denn zwei Jahre zuvor waren es nur 400 Fonds mit einem Volumen von 490 Milliarden Euro und dass die Nachfrage nach den verschiedenen Nachhaltigkeits-Labels so stark gestiegen ist, das hat nach Ansicht von Novethic auch damit zu tun, dass die Ziegel Anbieter ihre Transparenz über die klassifizierten Fonds verbessert haben. Wieviele Siegel gibt es denn eigentlich mittlerweile? Mittlerweile gibt es eine ganze Menge davon. In Europa zählen wir neun Siegel von verschiedenen Anbietern. Dazu zählt zum Beispiel das FNG Siegel des Forums nachhaltige Geldanlagen. Das wird der ein oder andere kennen. Das wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz vermarktet. Dazu gehört aber auch das österreichische Umweltzeichen des staatliche SRI Label aus Frankreich, das belgische Siegel Towards Sustainability oder Lux Flag ESG aus Luxemburg.
#00: 23:49-3# Und wie verteilen sich die Fonds auf die verschiedenen Label? Also gibt es da auch Favoriten?
#00: 23:54-3# Ja, die gibt es tatsächlich. Mit großem Abstand führt das französische SRI Label, mit dem sich 744 Fonds, also fast die Hälfte der gesiegelten Produkte schmücken - zum Vergleich einmal mit dem FNG Siegel, daschmücken sich 169 Fonds. Allerdings neu beworben um dieses FNG Siegel haben sich dieses Jahr schon 281 Fonds, das sind 60% mehr als im Vorjahr und sieben Mal mehr als im ersten Jahr 2015. Also bei all diesen vielen Zahlen. Das Wichtige ist da ist viel Dynamik drin.
#00: 24:37-5# Thema Green Bonds: Green Bonds, also grüne und nachhaltige Anleihen, boomen und eilen quasi von Rekord zu Rekord.
#00: 24:44-4# Ja, das ist richtig. Christiane. Jetzt ist der Markt kurz davor, den nächsten Meilenstein zu setzen und die Marke von zwei Billionen Dollar zu knacken. Das heißt, Green Bonds haben eine wirklich atemberaubende Entwicklung hingelegt.
#00: 24:57-3# Und der Club der Grünen Bondemittenten wird auch immer größer. Jetzt steht das nächste prominente Mitglied vor der Tür.
#00: 25:03-1# Ganz genau im September vorigen Jahres kam ja der Bund dazu, der sich zunächst viel Zeit gelassen hatte, der aber mittlerweile sogar dabei ist, eine komplette grüne Renditestrukturkurve aufzubauen. Es war vor drei Jahren fast undenkbar. Jetzt kommt die Europäische Union, die im Rahmen des Green Deals ihren ersten grünen Bond emittieren wird, und nach den Erfahrungen mit den Social Bonds der EU wird man sich darauf einstellen können, dass die grünen Titel reißenden Absatz finden. Die Begeisterung am Bondmarkt ist nämlich enorm.
#00: 25:36-5# Und das sogar, obwohl die Anleihen diverser Emittenten mittlerweile mit Renditen handeln, die unter denen der nicht-grünen Anleihen liegen.
#00: 25:42-7# Ja, so ist es. Die Kapitalanleger sind bereit, einen höheren Preis für eine Anleihe zu bezahlen, die grünen Zwecken zukommt, als für einen konventionellen Bond. Diese Prämie nennt sich Greenium. Das ist die Zusammensetzung aus Green und Premium. Und auch das ist eine Errungenschaft dieses Marktes.
#00: 26:08-8# Thema nachhaltige Produkte für Retailinvestoren: Die Börse Stuttgart forciert das Thema Nachhaltigkeit auch für Retailinvestoren. Was hat Sie denn da genau vor?
#00: 26:18-2# Also es ist geplant, Angebote rund um sustainable Finance für Privatanleger zu entwickeln. Das hat jetzt Katja Bodenhöfer-Alte, das ist die Geschäftsführerin der baden-württembergischen Wertpapierbörse, bei dem traditionellen Börsen-Empfang angekündigt, die Stuttgarter Börse will damit dazu beitragen, dass sie das - Zitat - die steigende Nachfrage bei privaten Anlegern und das wachsende ESG-Produktangebot besser zusammenfinden – Zitatende. Ziel ist es also, Anhaltspunkte und Orientierung zu bieten, damit sich private Anleger in der Produktvielfalt zurechtfinden. Zu Details hat sich Frau Bodenhöfer-Alte aber noch nicht geäußert.
#00: 26:56-0# Dafür ist die Börse Stuttgart beim Thema Klimaneutralität aber doch schon einiges konkreter geworden. Ja, das stimmt.
#00: 27:02-0# Klimaneutralität, die durch die Vermeidung und Reduktion von CO2-Emissionen und ergänzende Kompensationen erreicht werden soll, will die Börse Stuttgart bereits bis zum Jahresende umsetzen, zumindest in den Bereichen, in denen sie direkten Einfluss hat. Allerdings, und das hat der Vorstandschef Michael Völter beim Börsen Empfang auch deutlich gemacht, hat die Börse auf viele Emissionen, die in engem Zusammenhang mit dem Handel stehen, gar keinen Einfluss. Das gilt zum Beispiel für die nach wie vor sehr hohen Energieaufwand beim Mining von Kryptowährungen, die ja über Produkte an der Börse Stuttgart handelbar sind.
#00: 27:44-2# Aufmerksam machen möchte ich Sie gerne auf den 5. deutschen Sustainable Finance Gipfel am 15. Oktober in Frankfurt. Hier geht es darum, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Die Potenziale der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsinitiativen und Ideen zu beleuchten und zum Ende der Tagung sollen klare Handlungsaufforderungen zur Weiterarbeit an das Sustainable Finance Agenda in Richtung Finanzwirtschaft, Realwirtschaft und Politik formuliert werden. Und damit kommen wir zum Ende unserer Episode, und wir freuen uns sehr, wenn sie Ihnen gefallen hat und Sie am 21. Oktober wieder dabei sind, wenn eine neue Folge von nachhaltiges Investieren erscheint. Bis dahin hören Sie auch immer gerne freitags in unsere Wochenvorschau 7TageMärkte hinein sowie kommenden Dienstag in #Volatility, den Anlage-Podcast von Börsen-Zeitung und QC Partners. Bis dahin alles Gute,
#00: 28:40-4# Nachhaltiges Investieren der Podcast für die Investmentfondsbranche – mit freundlicher Unterstützung von Union Investment
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